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Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH)

Das Mayer-Roktiansky-Küster-Hauser-Syndrom (kurz: MRKH-Syndrom) wurde erstmals im Jahr 1829 beschrieben. Es bezeichnet eine kombinierte Fehlbildung von Gebärmutter (Uterus) und Scheide (Vagina), die durch embryonale Hemmungsfehlbildung der Müller'schen Gänge im zweiten Schwangerschaftsmonat entsteht. Es ist eine angeborene Fehlbildung, von der nur Frauen betroffen sind. Frauen mit MRKH-Syndrom werden ohne oder mit nur unvollständig ausgebildeter Gebärmutter und Scheide geboren

Genitale Fehlbildungen im Allgemeinen haben eine Krankheitshäufigkeit (= Prävalenz) von 0,1 Prozent bis 0,4 Prozent in der weiblichen Gesamtbevölkerung. Die Inzidenz des MRKH-Syndroms wird mit einer Häufigkeit von 1:4000 bis 1:5000 aller weiblichen Lebendgeburten angegeben.

Zu den inneren weiblichen Genitalorganen zählen die Scheide, die Gebärmutter sowie die Eileiter mit den Eierstöcken. Die Scheide ist bei den meisten Frauen circa 8 bis 12 cm lang. An deren Ende findet sich die Gebärmutter, in welcher die befruchtete Eizelle zu einem Kind heranreift. Die Gebärmutter entsteht aus zwei Kanälen, den Müller'schen Gängen, welche während der Embryonalperiode miteinander verschmelzen und sich so zu einem muskulären Hohlorgan, der Gebärmutter, entwickeln. Unter hormonellem Einfluss baut sich ab Beginn der Pubertät circa alle 24 bis 28 Tage die Gebärmutterschleimhaut auf und es kommt zu einer Monatsblutung, wenn keine Empfängnis erfolgt ist. Am oberen Gebärmutterende befinden sich auf beiden Seiten die Eileiter und Eierstöcke. Die Eierstöcke sind neben ihrer Funktion als Eizellspeicher für die Hormonproduktion von weiblichen Hormonen zur Entwicklung geschlechtsspezifischer Merkmale während der Pubertät, wie beispielsweise dem Brustwachstum und der Schambehaarung, verantwortlich.

Das MRKH-Syndrom entsteht zwischen der 6. und der 12. Schwangerschaftswoche. Ursächlich hierfür ist eine Hemmung der Entwicklung, der Ausdifferenzierung und Vereinigung dieser Müller'schen Gänge, sowie eine fehlende Epithelausknospung aus dem Sinus urogenitalis (Urogenitalkanal), wodurch kein Anschluss an die Müller'schen Gänge erreicht werden kann. Diese Hemmungsfehlbildung verhindert, dass sich Scheide und Gebärmutter vollständig ausbilden können. Was diese Hemmungsfehlbildung verursacht, konnte bis heute noch nicht vollständig geklärt werden. Dies ist noch Bestandteil aktueller Forschung und Studien.

Bei den üblichen Kindervorsorgeuntersuchungen können in erster Linie Fehlbildungen des äußeren Genitals erkannt werden. Patientinnen mit MRKH-Syndrom entwickeln aufgrund der fehlenden Gebärmutter keine Monatsblutung. Daher werden Patientinnen mit vaginalen Fehlbildungen normalerweise erst im Rahmen der Pubertät durch eine nicht einsetzende Periodenblutung symptomatisch. Fehlbildungen der Gebärmutter werden teilweise erst in der reproduktiven Phase festgestellt. Bei Frauen, die mit ausbleibender Monatsblutung auffallen, ist das MRKH-Syndrom die zweithäufigste Ausnahme.

Es gibt unterschiedliche Ausprägungen des MRKH-Syndroms. So kann die Scheide zwischen 0,5 cm und 0,7 cm lang sein. Bezüglich der Gebärmutterentwicklung sind verschiedene Formen beschrieben. Die Bandbreite reicht von der Aplasie (komplettes Fehlen der Gebärmutter) bis zum Vorhandensein eines rudimentären Stranges mit ein- oder beidseitig ausgebildeten Gebärmutterhörnern, die in normal angelegte Eileiter münden.

In manchen Fällen können zusätzliche Fehlbildungen des Harntraktes, des Skelettsystems, der Eierstöcke oder der Gehörorgane oder auch Leistenhernien vorliegen.

Wichtig: Die betroffenen Mädchen besitzen eine normale ovarielle Funktion. Das bedeutet, dass die Fähigkeit der Eierstöcke, Hormone zu produzieren und Eizellen reifen zu lassen, uneingeschränkt vorhanden ist. Dies ist sehr entscheidend, denn somit können sich die sekundären Geschlechtsorgane ganz normal entwickeln. Das MRKH-Syndrom hat keine äußerlich erkennbaren Merkmale und die körperliche Entwicklung der Patientinnen verläuft ohne Auffälligkeiten. 

Symptomatik

Ein Verdacht auf Fehlbildungen des inneren Genitals besteht bei folgender Symptomatik:

  • primäre Amenorrhoe (fehlende Menstruationsblutung)
  • schmerzhafter oder unmöglicher Geschlechtsverkehr, kein Tampongebrauch möglich
  • unvollständig ausgebildete oder fehlende Scheide
  • normale Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale (Brustentwicklung, Scham- und Achselbehaarung, äußeres Genital)
  • weiblicher Karyotyp (46, XX)

Das MRKH-Syndrom wird erst zwischen dem 14. und dem 17. Lebensjahr entdeckt. Für die meisten jungen Mädchen ist dies der erste Kontakt zum Frauenarzt, welchem oftmals ein längerer Leidensweg und Missverständnisse vorausgehen.

Die betroffenen Mädchen und Frauen suchen den Gynäkologen meist wegen des Ausbleibens der Regelblutung oder aufgrund nicht möglichem Geschlechtsverkehrs auf. Labien und Klitoris sind beim MRKH-Syndrom völlig normal entwickelt, was ein Grund für die häufig späte Diagnosestellung ist. Zunächst steht bei einem Arztbesuch die Anamneseerhebung im Vordergrund. Hierbei handelt es sich um ein ausführliches Gespräch, bei dem der Arzt versuchen wird, sich ein Bild von den Beschwerden und der Krankengeschichte zu machen. Auf das Gespräch folgt dann eine primäre gynäkologische Untersuchung, die dem Arzt ermöglicht, eine Verdachtsdiagnose zu stellen.

Da das MRKH-Syndrom oft mit Nieren- und Skelettfehlbildungen sowie Schwerhörigkeit oder Leistenbrüchen assoziiert ist, sollte vor einer operativen Therapie auch eine Abklärung des renalen Systems und zum Ausschluss einer der testikulären Feminisierung (genetisch bedingte Erkrankung, die mit einem Rezeptordefekt der Zielzellen für Testosteron einhergeht) eine Chromosomenanalyse durchgeführt werden.

Untersuchungen

  • Inspektion der sekundären Geschlechtsmerkmale (Brustwachstum, Scham- und Achselbehaarung)
  • Gynäkologische Untersuchung
  • Sonografische Beurteilung des inneren Genitals (vom Bauch aus) und der Niere
  • Hormonbasisdiagnostik
  • Humangenetische Abklärung

Bei den meisten jungen Mädchen wird das Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom erst in der Pubertät erkannt. Dieser Altersabschnitt ist ein großer Schritt auf dem Weg zum Erwachsenwerden und die Mädchen entwickeln in dieser Zeit ein eigenes weibliches Körpergefühl und Sexualität. Es gibt zwei entscheidende Tatsachen, die mit einer Diagnose des MRKH-Syndroms einhergehen und die für die Betroffenen zweifellos schockierend sind. Die Gebärmutter ist nicht oder nur rudimentär angelegt, daher ist eine Schwangerschaft für die betroffenen Mädchen nicht möglich. Ebenso ist Geschlechtsverkehr in den meisten Fällen aufgrund einer zu kurzen oder nicht vorhandenen Scheide ohne therapeutische Maßnahmen erstmal nicht möglich. Rein äußerlich entwickeln sich die Patientinnen vollkommen normal zur erwachsenen Frau. Für Außenstehende ist die Erkrankung nicht erkennbar.

Schwangerschaft und Sexualität sind sehr emotionale Themen und die mit dem MRKH-Syndrom verbundenen Konsequenzen sind für die Patientin und die Eltern anfangs nicht leicht zu verkraften. Unerfüllter Kinderwunsch und nicht ausgelebte Sexualität bilden den Kern des Syndroms und bedeuten für die betroffenen Mädchen oftmals große seelische Belastungen und gehen mit Ängsten oder auch Zweifeln an der eigenen Weiblichkeit einher.

Wichtig ist eine schrittweise, realitätsnahe Annäherung und Auseinandersetzung mit der Erkrankung. Hierbei können der Frauenarzt und spezialisierte Psychologen Unterstützung leisten. Ein sensibler, aber offener Umgang mit der neuen Lebenssituation kann sehr hilfreich sein, um das Selbstwertgefühl zu stärken, Hoffnung zu vermitteln und den Mut nicht zu verlieren. Die emotionale Belastung ist groß. Eine solide Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patientin kann helfen, um der Patientin Ängste zu nehmen und gemeinsam individuelle Wege für die weitere Therapie zu finden. Hierfür wurden verschiedene Therapiemöglichkeiten entwickelt, mit denen eine neue Scheide geschaffen werden kann, um Geschlechtsverkehr zu ermöglichen. Bei funktionsfähigen Eierstöcken ermöglicht die moderne Reproduktionsmedizin eine Entnahme eigener Eizellen, welche mit dem Samen des Partners befruchtet werden können und von einer Leihmutter ausgetragen werden können. Eine Leihmutterschaft ist in Deutschland allerdings nicht erlaubt und kann hier nicht durchgeführt werden.

Ziel der Behandlung ist die Bildung einer funktionellen und ästhetisch ansprechenden Scheide (sogenannte Neovagina). Die dadurch gewonnene Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr leistet einen wesentlichen Beitrag für eine glückliche Partnerschaft und für das Selbstbild als Frau. Es werden sowohl nicht-chirurgische als auch chirurgische Methoden genutzt. Für alle Methoden ist Voraussetzung, dass die Patientin die notwendige emotionale Reife hat und motiviert ist, die Nachbehandlung uneingeschränkt durchzuführen. Eine zu frühe Scheidenanlage sollte vermieden werden und kann ohne regelmäßigen Geschlechtsverkehr wieder kleiner werden.

Nicht-chirurgische Methoden

Das Grundprinzip besteht darin, dass die Patientin selbstkontrolliert durch regelmäßige Dehnung des Vaginalgrübchens eine Scheide schafft. Die Scheide wird hierbei von der Patientin durch Dilaratoren und/oder Geschlechtsverkehr selbst gedehnt. Der Erfolg des Verfahrens setzt aber voraus, dass zumindest ein kleines Vaginalgrübchen vorhanden ist und dass die Patientin ein hohes Maß an persönlicher Reife und Geduld mitbringt. Der Prozess kann als äußerst schmerzhaft, langwierig und belastend empfunden werden, die Länge der Neovagina wird zudem meist nur durch regelmäßige sexuelle Aktivität aufrechterhalten bzw. in einigen Fällen kann die gewünschte Größe und Funktionalität trotz monate- bis jahrelanger Dehnung nicht erreicht werden.

  • Nicht-chirurgische Vaginaldehnung nach Frank: Dehnung des Vaginalgrübchens durch ansteigend längere und stärkere Glasdilatatoren für sechs bis zwölf Wochen, dreimal 20 Minuten täglich.
  • Modifikation des Verfahrens: Benutzung von Plastikprothesen für 20 Minuten täglich, Benutzung des eigenen Fingers, mehrmals täglich für ca. 5 Minuten

Chirurgische Methoden

  • Dehnungschirurgische Methoden modifiziert nach Vecchietti
    • Die Methode der Wahl zur Anlage einer Neovagina ist heutzutage die laparoskopisch-assistierte Neovagina-Anlage modifiziert nach Vecchietti. Das operative Prinzip besteht in einer kontrollierten Dehnung des Vaginalgrübchens. Über ein Steckgliedphantom wird kontinuierlich Druck auf das Vaginalgrübchen ausgeübt und dadurch innerhalb von Tagen eine Neovagina gebildet.
    • Während der Operation wird ein Phantom in das meist vorhandene Scheidengrübchen eingebracht. Mit Hilfe einer Bauchspiegelung (= Laparoskopie) werden an diesem Phantom zwei Fäden befestigt, die durch die Bauchdecke in Höhe des Bauchnabels zu einem Spannapparat gezogen werden. Der Spannapparat wird nun über einen Zeitraum von wenigen Tagen täglich nachgespannt. Durch Zug an den Fäden zieht er die Scheide in die Bauchhöhle und verlängert die Scheide. Während dieser Zeitspanne muss die Patientin im Krankenhaus bleiben. Anschließend werden Spannapparat und Steckgliedphantom wieder entfernt und die Patientin kann in die Nachbehandlung entlassen werden. Eine selbst durchgeführte Vordehnung der Scheide vor der Operation verbessert das Ergebnis.
    • Vorteile: Diese OP-Methode ist effektiv, schnell und sicher und kann auch bei Beckennieren oder anderen renalen Fehlbildungen durchgeführt werden. Es werden Scheidenlängen von 10 bis 12 cm innerhalb weniger Spanntage erreicht, bei einer mittleren OP-Dauer von ca. einer Stunde. Ein Bauchschnitt (= Laparotomie) ist nicht notwendig, sodass kaum Narben entstehen. Ein großer Vorteil ist außerdem, dass die Neovagina wie eine normale Scheide reagiert. Sie wird, wie bei jeder anderen Frau, feucht und weit beim Geschlechtsverkehr. Für den Partner ist kein Unterschied zu einer normalen Vagina bemerkbar. Die Patientin kann bereits wenige Wochen nach der Operation Geschlechtsverkehr haben und somit eine normale Partnerschaft führen.
    • Komplikationen: In den letzten Jahren konnten durch Verbesserungen an der Operationsmethode und Operationsinstrumente die Komplikationsraten deutlich reduziert werden. Trotzdem besteht die Gefahr der Verletzung von Blase und Harnröhre oder auch des Darmes. Auch Blutungen oder Nervenläsionen sind mögliche Komplikationen. Einer Verkürzung und Verengung der neu gebildeten Scheide ist nach der Operation möglich, wenn die Anweisungen des behandelten Arztes nicht richtig befolgt werden.
  • Chirurgisch-plastische Verfahren:
    • Spalthautvagina nach McIndoe/Bannister
    • Neovagina aus herausoperierten Darmsegmenten (zumeist nur noch nach Krebsoperationen)
    • Douglas-Peritoneum-Neovagina nach Davidov (zumeist nur noch nach Krebsoperationen)

Nachbetreuung, Pflege und Hygiene einer Neovaginaanlage

Die Phase der Nachbetreuung ist entscheidend für den Erfolg und das Resultat der Operation. Die neu gebildete Scheide muss nach der Operation abheilen und der Körper muss sich an die neue Situation gewöhnen. In dieser Zeit ist es sehr wichtig, dass sich die Patientin genau an die ärztlichen Anweisungen hält und regelmäßig zu den Nachuntersuchungsterminen kommt. Dort können alle Fragen und mögliche Probleme besprochen werden.

Scheidenphantom:

  • Direkt nach der Entfernung des Spannapparates und des Steckgliedphantoms wird ein Scheidenphantom in die neu gebildete Scheide eingebracht. Das Scheidenphantom besteht aus Kunststoff und ist in verschiedenen Formen und Längen erhältlich. Das Scheidenphantom verhindert, dass die Scheide sich verkürzt oder enger wird. Deshalb ist es sehr wichtig, dass sie zu Beginn Tag und Nacht getragen wird.
  • In den ersten drei Monaten nach der Operation sollte das Phantom nur zum Stuhlgang und zum Wasserlassen bzw. zum Geschlechtsverkehr herausgenommen werden und direkt danach wieder, gereinigt, eingeführt werden. Anschließend sollte das Phantom noch für einige Monate nachts getragen werden, damit eine Schrumpfung und Verkürzung der Scheide vermieden wird. Geschlechtsverkehr ist normalerweise nach ca. vier bis sechs Wochen möglich.
  • Pflege und Hygiene:
    • Die Prothese sollte täglich herausgenommen, gewaschen und Östrogensalbe aufgetragen werden. So kann sie problemlos wieder, wie ein Tampon, eingeführt werden.
    • Die neue Scheide sollte weder mit Wasser ausgespült noch mit anderen Crémes gepflegt werden. Die richtige Reinigung des Phantoms und das Auftragen der östrogenhaltigen Créme auf das Phantom pflegt die neue Scheide ausreichend.
    • Nach der Operation wird Ausfluss auftreten. Dieser Ausfluss ist normal und wird sich nach einiger Zeit wieder zurückbilden. Es ist sinnvoll, in dieser Zeit eine Slip-Einlage zu tragen. Sollte sich der Ausfluss jedoch plötzlich in Farbe oder Geruch verändern, oder sollte Juckreiz oder Brennen auftreten, ist es ratsam, Ihre Ärztin oder den Arzt aufzusuchen. Eine mögliche Infektion kann dann erkannt und behandelt werden.