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Erhalt der Fruchtbarkeit bei Krebs

Liebe Patientin,

vielleicht hat Ihnen Ihr behandelnder Arzt/Ihre behandelnde Ärztin vor kurzem erst die Diagnose einer bösartigen Erkrankung mitgeteilt und es stellen sich viele Fragen und Ängste bei Ihnen ein. Die nachfolgenden Informationen können das ärztliche Gespräch nicht ersetzen, sie soll Ihnen vielmehr eine Hilfe in der Auseinandersetzung mit dem Thema "Fruchtbarkeit nach der Überwindung der Erkrankung" sein.

Immer mehr Menschen werden sich im Laufe ihres Lebens mit der Diagnose einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung und deren Behandlung auseinandersetzen müssen. Zum Glück bieten die chirurgischen und medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten von Krebserkrankungen die Chance auf Heilung und daher kann es bedeutsam sein, sich auch mit den Folgen für das Leben "danach" auseinander zu setzen. Für viele ehemalige Krebspatientinnen und -patienten ist es ein besonders wichtiges und sensibles Thema, Eltern werden zu können. Daher ist es sinnvoll, für jeden Betroffenen schon vor der Krebsbehandlung Zeit und Raum für Beratungen zu diesem Thema zu bieten. Auch wenn die im Folgenden aufgezeigten Möglichkeiten längst nicht von jedem Betroffenen gewünscht sind, so ist doch die Beratung eine notwendige Voraussetzung auf dem Weg der Entscheidungsfindung.

Grundsätzlich ist es so, dass nur bei bestimmten Chemotherapeutika und erst ab einer höheren Mindestdosis eine dauerhafte Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit zu erwarten ist. Auch eine Bestrahlung hat nicht zwangsläufig eine Unfruchtbarkeit zur Folge.

Diese Information wendet sich an Frauen, die aufgrund der Auswahl der Chemotherapeutika oder der Kombination aus Medikamenten und Bestrahlung und/oder Operation ein hohes Risiko für eine Beeinträchtigung ihrer Fruchtbarkeit haben. Wir möchten Ihnen aktuelles Wissen zur Verfügung stellen und Ihnen darlegen, was heute unternommen werden kann, um dieser potenziellen Nebenwirkung der Krebsbehandlung etwas entgegenzuhalten. Ihr Onkologe bzw. Ihre Onkologin informiert Sie über Ihr individuelles Risiko anhand von Erfahrungen, die aus Studien gewonnen wurden. Für den Fall, dass bei Ihnen jedoch mit einer bleibenden Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit gerechnet werden muss, gibt es einige Methoden, Ihre Fruchtbarkeit zu schützen.

Beachten Sie bitte, dass das Hauptziel eine optimale Behandlung Ihrer Grunderkrankung und Ihre Heilung bleibt. Deswegen werden diese Maßnahmen nur durchgeführt, wenn sie -- soweit man das zum gegenwärtigen Zeitpunkt abschätzen kann -- keinen nachteiligen Einfluss auf die Grunderkrankung und deren Heilung haben.

Möglichkeiten zur Erhaltung oder Wiedererlangung der Fruchtbarkeit und Hormonproduktion bei Chemotherapie oder Bestrahlung

Bei bestimmten Krebsarten ist es erforderlich, das kleine Becken mit einer eierstockschädigenden Strahlendosis zu behandeln. Manchmal besteht allerdings auch die Möglichkeit, durch geeignete operative Verfahren die Eierstöcke aus ihrer normalen Lage an einer anderen Stelle festzunähen. Das erfordert allerdings in der Regel die Durchtrennung der Gefäßbündel, die vom Uterus zum Eierstock führen. Normalerweise werden die Eierstöcke von
einem zweiten größeren Gefäß von der Beckenwand aus versorgt. Meist müssen auch die Eileiter durchtrennt werden, so dass eine spätere spontane Schwangerschaft dann nicht mehr möglich Ist. Das genaue Verfahren werden wir Ihnen vor der Bauchspiegelung erklären.

Die zur Verfügung stehende Technik der Gefrier- oder Kryokonservierung bietet die Möglichkeit, menschliches Gewebe (z.B. Eierstockgewebe) oder Zellen (Eizellen, Samenzellen, befruchtete Eizellen) einzufrieren und über längere Zeit aufzubewahren. Nach dem Auftauen erlangt ein Teil des Gewebes oder der Zellen die Lebensfähigkeit und Funktionen wieder zurück. Aus Versuchen mit verschiedenen Zellarten weiß man heute, dass ca. 50-80 % der eingefrorenen Zellen nach dem Auftauen wieder ihre normalen Funktionen übernehmen.

Das Prinzip der Kryokonservierung von Ovargewebe ist, einen Teil des Eierstockgewebes (ca. 30-
50 % eines Eierstocks) vor einer Krebstherapie zu entfernen und somit einer möglichen schädigenden Wirkung durch die Chemotherapie oder Bestrahlung zu entziehen. Die Entfernung des Eierstockgewebes erfolgt in aller Regel durch eine Bauchspiegelung. Das entfernte Gewebe wird durch ein spezielles und schonendes Verfahren in flüssigem Stickstoff eingefroren (Kryokonservierung). Sollte sich in den Jahren nach erfolgreicher Behandlung der Krebserkrankung eine Unfruchtbarkeit einstellen, so besteht die Möglichkeit, dieses Gewebe wieder aufzutauen und
wieder einzupflanzen. Meist wird maximal die Hälfte der eingefrorenen Menge transplantiert. Die Transplantation erfolgt entweder in einen der Eierstöcke, in die Beckenwand oder an beide Stellen. Ziel ist es, dass Sie auf normalem Weg schwanger werden können. Ggf. ist aber auch eine künstliche Befruchtung erforderlich. Die Chance, mit dem transplantierten Gewebe ein Kind zu bekommen, ist derzeit noch schwer zu beziffern und hängt unter anderem von der Eizellreserve in dem Gewebe ab. Nach der aktuellen Datenlage liegt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft bei ca. 20-30 %, im Einzelfall evtl. höher. Diese individuelle Beurteilung obliegt Ihren behandelnden Ärztinnen bzw. Ärzten.

Aus der Erfahrung bei der Kryokonservierung von Spermien und befruchteten Eizellen weiß man, dass mit Haltbarkeitszeiten für das Gewebe mit deutlich über 10 Jahren zu rechnen ist. Bei sehr lange gelagertem Zellmaterial kann es beim Auftauen zu einem zunehmenden Verlust der Funktionsfähigkeit kommen. Andererseits gibt es Experimente und theoretische Untersuchungen, die zeigen, dass bei ununterbrochener Kühlung (-196°C) und Aufbewahrung in lichtundurchlässigen Gefäßen Zellen noch viel länger intakt überleben können.

Die Risiken der Operation zur Entnahme und Retransplantation sind gering, wenn Sie nicht aus anderen Gründen hohe Operationsrisiken (wie ausgeprägte Verwachsungen im Bauchraum) aufweisen.

Eine weitere bereits lange etablierte Methode zum Erhalt der Fruchtbarkeit ist die hormonelle Stimulationsbehandlung der Eierstöcke und die direkte Gewinnung von Eizellen mittels vaginaler ultraschallgesteuerter Punktion in Narkose. Die gewonnenen Eizellen können entweder befruchtet (extrakorporale Befruchtung) oder unbefruchtet kryokonserviert werden. Zu berücksichtigen hierbei ist, dass eine Stimulationsbehandlung ca. zwei Wochen Zeit vor Behandlung der Krebserkrankung benötigt. Die Wahrscheinlichkeit, mit Hilfe dieser Eizellen später ein Kind zu bekommen, hängt von deren Anzahl und Qualität sowie Ihrem Alter bei der Entnahme ab. Die Chance für eine Geburt nach der Verwendung der Eizellen liegt zwischen ca. 20 % und 40 %. Die Risiken der Stimulationsbehandlung und Eizellgewinnung sind gering. 

Bei hoher Dringlichkeit der Therapie Ihrer Grunderkrankung kommt diese Option des Fertilitätserhaltes evtl. nicht in Frage. Sollten Sie an Brustkrebs leiden, können zusätzliche Tabletten (Aromatasehemmer) gegeben werden, durch die Ihre Östrogenkonzentrationen im Blut während der Stimulation deutlich weniger ansteigen.

Eierstöcke mit geringerer hormoneller Aktivität sind wahrscheinlich weniger empfindlich gegenüber einer onkologischen Behandlung. Es besteht daher die Möglichkeit, die Hormonproduktion der Eierstöcke durch eine Depotspritze (GnRH-Agonist) solange zu bremsen, bis die Behandlung abgeschlossen ist. Die Anwendung beginnt einige Tage vor einer Chemotherapie und wird bis zum Behandlungsende fortgesetzt (zumeist ca. 1-2 Monate darüber hinaus). Die Risiken und Nebenwirkungen dieser Behandlung sind gering. Es können Hitzewallungen auftreten. Zur Wirksamkeit dieser Therapie haben Studien unterschiedliche Ergebnisse gezeigt. Der Nutzen dieser Therapie ist abschließend noch nicht beurteilbar und daher sollten Gar-Agonisten, wenn möglich, nicht als alleinige Maßnahme zum Schutz der Fruchtbarkeit angewandt werden. Ob diese Medikamente möglicherweise einen Einfluss auf Hormon-empfindliche Tumoren haben und deren Ansprechbarkeit auf eine Chemotherapie dadurch sinkt, ist noch unklar. In Studien gibt es bisher keine Hinweise dazu.

Wird im Bereich der Fortpflanzungsorgane die Diagnose Krebs gestellt, erfolgt meist eine operative Entfernung des Organs. Damit geht im Regelfall die Unmöglichkeit der Erfüllung eines Kinderwunschs einher.

In jüngster Vergangenheit haben sich jedoch im Einzelfall - bei wenig fortgeschrittener Krebserkrankung - organerhaltende Operationstechniken entwickelt. Dazu zählen beispielsweise die Konisation und Trachelektomie (Entfernung des Gebärmutterhalses unter Erhalt des Gebärmutterkörpers) beim Gebärmutterhalskrebs oder das Belassen des Eierstocks der Gegenseite bei bestimmten Formen des Eierstockkrebses.

Die genannten Maßnahmen können auch zur Steigerung der Effektivität miteinander kombiniert werden. Dies ist besonders dann von Vorteil, wenn die geplante Therapie ein hohes Risiko für einen kompletten Verlust der Eierstockfunktion aufweist.